Ideen-Fabrikant, Generaldirektor der Traumfabrik

Hüseyin Işık oder der kontrollierte Zufall

Vier Elemente beherrschen das Leben. Feuer, Regen, Wind und Erde. Jahre später habe ich sie ergänzt.

Ich wurde Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts in einem kleinen kurdischen Dorf geboren, wann genau weiß ich nicht.

Die ganze Familie emigrierte kurz darauf nach Istanbul. Bevor ich zur Volksschule ging, entstand meine erste Zeichnung an der Wand, und ich bekam meine erste Ohrfeige dafür. Von diesem Moment an begann ich überall, mit allem, was mir in die Finger kam, zu zeichnen und handelte mir noch mehr Ärger ein.

1975 wurde meine erste Kurzgeschichte veröffentlicht, ein Jahr später meine erste Karikatur. Ich begann damals als Karikaturist für verschiedene Zeitungen zu arbeiten. In der Türkei herrschte Bürgerkrieg, der im faschistischen Militärputsch von 1980 gipfelte. Alles war verboten – sprechen, denken, lesen, zu zweit spazieren gehen, … damals begann ich an der Universität für Angewandte Kunst Graphik zu studieren. Als Karikaturist und Zeichner war ich sowohl für große Tageszeitungen als auch für verbotene Zeitschriften tätig.

Im Jahre 1984 initiierte ich eine Wanderausstellung gegen die Todesstrafe, an der eine Gruppe von Karikaturisten teilnahm. Der Erfolg dieser Ausstellung ließ allerdings noch 16 Jahre auf sich warten – als die Türkei die Todesstrafe abschaffte.

1988 kam ich nach Wien – in eine andere Welt mit anderen Menschen und einer anderen Realität, in ein balkanisiertes Mitteleuropa mit türkischem Kaffee. Ich stellte mich der Zeit zur Verfügung, zu jeglicher Verwendung.

Ab Mitte der 1990er Jahre stellte ich regelmäßig zu den Themen Identität, Rassismus, Fremdsein aus. Ich entwickelte eine Liebe zu öffentlichen Räumlichkeiten – zu Straßen, Gassen, Plätzen, Krankenhäusern, Universitäten, Volksschulen, Theatersälen, U-Bahnen, Bibliotheken, Bahnhöfen, Bussen, Baustellen, … und zu einer anderen Art von Erzählungen. Die Stadt entdecken, dunkle Seiten zum Leuchten bringen, Frühstück als Kunst genießen – zu dieser Zeit war alles unter meiner Kontrolle, nur ich war außer Kontrolle.

Ich war Polizist bei der Ausweiskontrolle, brachte Skulpturen mit Sprengstoff zur Explosion, ermordete Kerzen durch den Entzug von Sauerstoff, errichtete Grenztore auf freiem Feld, brachte Bilder um für eine poetische Gerechtigkeit, ersteigerte zum Tode verurteilte Menschenrechtsaktivist*innen für die Freiheit, schrieb Chatprogramme ohne Strom und Kabel, nur mit Papier und Stift, ...

Seit zehn Jahren darf ich nicht in die Türkei, weil ich vergessen habe, meinen Militärdienst zu leisten.

Nun sitze ich unter meinem Baum, koche Kaffee für meine Nachbarn…

Den obenstehenden Text hat mir mein Zwilling ins Ohr geflüstert. Ich habe ihn nur aufgeschrieben.

H.Isik Friedrichshof, 2009

  • Studium an der Hochschule für Angewandte Kunst, Diplom an der Marmara Universität für Schöne Künste

  • Als Zeichner, Illustrator, Karikaturist für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften tätig. Auch Mitbegründer einiger Printmedien

  • Zahlreiche Ausstellungen, Installationen, Aktionen, Performances und Filme im In- und Ausland in verschiedenen Galerien, Museen, Kunsthallen und im öffentlichen Raum

  • Teilnehmer der 53. Internationalen Biennale in Venedig

  • Workshops und Seminare zum Themenbereich Kunst und Kreativität

  • Lebt und arbeitet seit 2003 am Friedrichshof / Burgenland