Ideen-Fabrikant, Generaldirektor der Traumfabrik

GRENZEN - LOS

Die Grenzen haben mich am meisten verletzt

‘Du hast wieder deinen Atlas aufgeschlagen liegen lassen, die Ozeane werden wieder unsere Wohnung überschwemmen....’ sagte mir meinen Mutter.

Sofort lief ich hinunter zu unserer fensterlosen Ein-Zimmer-Wohnung, drei Etagen unterhalb der Erde und griff nach meinem bunten Weltatlas auf der Nähmaschine, die jahrelang zugleich mein Arbeitstisch gewesen war. (Dieser Atlas war lange Zeit mein einziges Vergnügen..)

Mit den begrenzten Mitteln unseres Vaters konnten wir nicht in eine andere Stadt oder in einen anderen Bezirk, geschweige denn in ein anderes Land fahren. Unter dem Einfluß der Bücher, vor allem der Romane, wollte ich die ganze Welt sehen. Dieses Begehren ließ mich ein Spiel erfinden:

ich öffnete meinen Atlas und schaute nach, welches Land ich heute besuchen wollte (falls ich an dem Tag Jules Verne gelesen hatte, war es schlimm um mich bestellt). Auf diese Weise lernte ich alle Länder, Städte sogar die kleinen Dörfer dieser Welt kennen. Ich bestieg alle Berge, schwamm in allen Seen und Flüssen, segelte in allen Meeren dieser Welt..

Ich schloß so viele Freundschaften.

Wie ich das Alles gemacht habe?

Mit einer sehr einfachen Methode: welches Land auch immer ich besuchen wollte, mußte ich zunächst den Maßstab der Landkarte berücksichtigen. Wenn das Land um 1 200 000 verkleinert war, so vergrößerte ich es in meiner Vorstellung 1 200 000 mal.

Die Flüsse, Täler, Berge, Städte, Straßen, Häuser, alles, einfach alles konnte ich sehen.

Ich stellte mir die Menschen und ihr Leben vor. Aber da war etwas, das ich nicht so recht begreifen konnte: ein roter Strich und ein roter Punkt, dann ein roter Strich und ein roter Punkt umkreisten immer wieder die Länder. Allmählich verstand ich, daß sie Grenzen waren.

Wenn ich dann diese Punkte und Striche in meiner Vorstellung 1 200 000 fach vergrößerte, entstand vor meinen Augen eine riesige flammenrote chinesische Mauer oder so etwas wie eine Burgmauer und daneben ein roter Turm....

Wie schwierig muß es wohl gewesen sein, dachte ich bei mir, um all diese Länder so hohe Mauern und Türme zu errichten.

Dieses Bild bleibt jahrelang vor meinen Augen.

Bis ich Jahre später eine Flugreise unternahm: ich saß neben dem Fenster und schaute hinunter auf die Erde genauso neugierig wie beim Atlas-Spiel meiner Kindheit.

Die Flüsse, Berge, Täler, Städte, alles, alles war da, alles am rechten Platz...

Aber die Grenzen, es waren keine Grenzen da, Jahre, jahrzehntelang hatten sie uns betrogen...

Ich schwöre, da waren keine Grenzen. Ich schwöre es, ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.

Hüseyin Isik, 6. Jänner 1998, Istanbul

"Ohne nachzudenken, ohne mitzuleiden, ohne Achtung

mauerten sie hohe Wände um mich"

Durch den Fall des Eisernen Vorhangs und den Bestrebungen zur Erweiterung der Europäischen Union wurde die Bewegungsfreiheit innerhalb Europas erleichtert.

Das Schengener Abkommen ermöglicht Grenzübertritte ohne Formalitäten,...

Europas Bürger scheinen sich grenzenloser Bewegung sicher sein zu können.

Das betrifft die eine Seite, doch andererseits wurden Kontrollen zu den ‘anderen’ verstärkt.

Kontrollen an den Außengrenzen sind schärfer, koordinierter denn je: die Festung Europa wurde geschaffen.

Zumindest eine Teilfestung, denn eine neue Grenze geht durch Europa. Ich hätte draußen viel zu erledigen

"wie sie die Wände erhöhten - ich merkte es nicht"

An dieser Grenze -der Grenze zwischen Österreich und Ungarn-, an der verstärkt gegen illegale Einwanderer vorgegangen wird, wird die ‘re’ Aktion Grenzen-los stattfinden.

Mitten in einem scheinbar freien Feld, direkt an der Grenzlinie, wird ein überdimensionales Tor aus Holz und Metall aufgebaut.

Das Tor ist versperrt: mit Schlüssel, Ketten, Vorhangschlössern, Sperrbalken,...es zu bezwingen scheint aussichtslos obwohl es doch im freien Feld steht....

"So heimlich waren die Arbeiter und so ruhig

schlossen sie mich aus der Welt, ohne daß ich etwas spürte"

Zur Mitarbeit an bzw. zur Unterstützung des Projektes werden andere Künstler, Flüchtlingshilfs- und Menschenrechtsorganisationen, die Caritas sowie andere NGOs eingeladen.

Am Tag der Aktion wird der von mir choreographierte ‘Grenzen-Tanz’ uraufgeführt, Musik und Lesungen finden in diesem Zusammenhang statt.

"Nun sitze ich hier hilf- und sorgenlos

außer diesem Schicksal, das mich frießt"